Interview auf fundraiso.ch mit Dagmar Bühler-Nigsch, Geschäftsführerin der VLGST, über den Stiftungsstandort Liechtenstein, Vergleiche zur Schweiz und wie die neue Generation von Stiftern/Stifterinnen die Potenziale der Digitalisierung erkennt.
Frau Dagmar Bühler-Nigsch, Sie sind Geschäftsführerin der VLGST – Vereinigung liechten- steinischer gemeinnütziger Stiftungen und Trusts e.V. Bevor wir über die Tätigkeit der Vereinigung reden, würden Sie uns mehr zu Ihrer Person verraten und wie Sie zur VLGST gekommen sind?
Ich war über viele Jahre in kaufmännischen Funktionen in internationalen Industrie- und Gewerbeunternehmen tätig. Auch während der Phase der Familiengründung war ich immer in Teilzeit berufstätig und habe mich ehrenamtlich als Vorstandsmitglied in verschiedenen Vereinen, NGOs sowie Gemeinde- und Schulgremien engagiert. Diese Führungserfahrungen im Gemeinnützigkeitssektor und die erworbenen Netzwerke waren von Vorteil als ich im Oktober 2013 die Geschäftsführung der VLGST (auch in Teilzeit) übernommen habe. Seit einem Jahr bin ich zudem Abgeordnete im liechtensteinischen Landtag und erkenne viele wertvolle Synergien zu meiner Arbeit im gesellschaftspolitischen Bereich.
Die VLGST wurde 2011 gegründet und hat heute über 100 Mitglieder. Haben Sie die anfänglich gesteckten Ziele erreicht oder gar übertroffen?
Wir sind sehr erfreut über die positive Entwicklung bei unseren Mitgliedstiftungen. Die Vereinigung wurde im Dezember 2010 mit 19 Gründungsmitgliedern gegründet. Zu Beginn meiner Tätigkeit war es noch besonders wichtig, viel über die Ausrichtung und die Ziele der Vereinigung zu kommunizieren, um somit den Bekanntheitsgrad zu stärken. Gemeinsam mit dem Gründungspräsidenten, Fürstl. Rat Hans Brunhart haben wir zahlreiche Gespräche geführt, auch zur Akquise von neuen Mitgliedstiftungen. Inzwischen dürfen wir auch mit etwas Stolz behaupten, dass die VLGST-Mitgliedschaft ein gewisses Gütesiegel darstellt und weitere Stiftungen durch die positive Wahrnehmung in der Öffentlichkeit auf uns aufmerksam werden.
Im Jahre 2019 öffnete die damalige VLGS ihre Türen auch für gemeinnützige Trusts und wurde so zur VLGST. Welche Rolle nehmen gemeinnützige Trusts im Philanthropie-Sektor Liechtensteins heute ein?
Quantitativ spielen Trusts im Vergleich zu Stiftungen in Liechtenstein sicher eine deutlich geringere Rolle. Sie sind aber als Alternative zur zivilrechtlich angelegten Stiftung besonders bei Kunden aus dem angelsächsischen Raum beliebt. Und so gibt es auch einzelne gemeinnützige liechtensteinische Trusts, wenn auch sicher in sehr geringer Anzahl im Vergleich zu den gemeinnützigen Stiftungen. Nichtsdestotrotz wollen wir seitens VLGST auch diesen Rechtsträgern, die ebenfalls philanthropisch tätig sind, eine Möglichkeit geben, bei der VLGST mitzuwirken. Das Angebot wurde bislang aber noch nicht genutzt, erste Gespräche mit gemeinnützigen Trusts, die in Frage kommen würden, haben aber bereits stattgefunden.
Weshalb sind gemeinnützige Trusts eine interessante Alternative zur klassischen gemeinnützigen Stiftung? Versucht man hier auch mit den angelsächsischen Standorten zu konkurrieren, die ebenfalls den «charitable trust» kennen?
Liechtenstein ist eines der wenigen kontinentaleuropäischen Länder, das die Rechtsform des Trusts schon 1926 eingeführt hat. Während die Stiftung als Rechtsträger eine juristische Person ist, die über handelnde Organe verfügt und selbst rechtsfähig ist, stellt der Trust eine quasi-vertragliche Beziehung zwischen dem Treugeber und dem Treunehmer, d.h. dem Treuhänder, dar. Mit dem gemeinnützigen Trust können die gleichen Ziele verfolgt werden wie mit einer gemeinnützigen Stiftung. Angesichts anders gestalteter Aufsichtsformen, anderer Steuerregeln und der Bekanntheit vor allem im anglosächsischen Raum bildet der gemeinnützige Trust eine interessante Alternative zur gemeinnützigen Stiftung.
In Liechtenstein zählt man 1300 bis 1400 gemeinnützige Stiftungen. Wie hoch ist deren ungefähres jährliches Fördervolumen und wie verteilt sich dieses auf Liechtenstein, die Schweiz und das übrige Ausland?
Es gibt wenig zugängliches Zahlen- und Datenmaterial über den Philanthropie-Sektor. Die VLGST führt deshalb alle drei Jahre eine freiwillige Datenerhebung zu Fördervolumen, Wirkungsradius und Förderbereichen durch. Im Jahr 2018 haben die rund 340 an der letzten Umfrage teilnehmenden Stiftungen 190 Millionen Franken an wohltätige Projekte ausgeschüttet. 75% des Fördervolumens ging an Institutionen und Projekte im Ausland (ohne Schweiz). Organisationen und Projekte in der Schweiz wurden mit rund 16% des Fördervolumens unterstützt. Die gemeinnützigen Stiftungen, die Auskunft gegeben haben, sind international vor allem in Europa tätig, gefolgt von Afrika, Asien, Lateinamerika, Nordamerika sowie Australien und Pazifik. Eine Hochrechnung auf den gesamten Stiftungssektor ist aber nicht möglich, da die Datenerhebung nur einen Einblick in ein Segment aller gemeinnützigen Stiftungen in Liechtenstein gibt. Trotzdem sind die Resultate interessant und weisen auf die grosse Bedeutung gemeinnütziger Stiftungen hin.
Das liechtensteinische Stiftungsrecht wird gerne als «state-of-the-art» bezeichnet. Insbesondere die flexiblere Ausgestaltung der Möglichkeiten für Stifter/innen im Vergleich zur Schweiz fällt auf.
In Liechtenstein wurde das aus dem Jahr 1926 stammende Stiftungsrecht im Jahr 2009 umfassend revidiert. Es erfüllt heute, zusammen mit dem Steuerrecht, alle internationalen Standards und gewährleistet gleichzeitig grosse Liberalität und entsprechenden Freiraum bezüglich der Ausgestaltung einer Stiftung. Die Stifterin oder der Stifter haben bei der Errichtung einer gemeinnützigen Stiftung grossen Gestaltungsspielraum, vor allem bei der Bestimmung des Zwecks sowie der Verwaltung und Verwendung des in die Stiftung eingebrachten Vermögens. Betreffend die Tätigkeit der Stiftung, die Besetzung ihres Stiftungsrates und die Anerkennung als gemeinnützige Stiftung sind rechtlich keine geographischen Grenzen gesetzt. Eine in Liechtenstein rechtsgültig errichtete Stiftung kann ihre Aktivitäten ohne Einschränkungen von Liechtenstein aus rund um den Globus entfalten. Sie kann global tätig sein, ohne die Verpflichtung, einen Mindestanteil ihrer Aktivitäten in Liechtenstein wahrzunehmen.
Auf dem aktuell veröffentlichten Global Philanthropy Environment Index steht Liechtenstein auf Platz 1, gefolgt von der Schweiz auf Platz 2. Inwieweit sieht man sich in einem Standortwettkampf mit der Schweiz um die Gunst künftiger Stifter und Stifterinnen?
Von einem Standortwettkampf mit der Schweiz kann nicht gesprochen werden. Es ist im Gegenteil wertvoll, dass Stifterinnen und Stifter im Wirtschaftsraum Schweiz-Liechtenstein so viele verschiedene Alternativen haben, um ihre philanthropischen Ideen umzusetzen. Beide Länder leben ein wichtiges Prinzip vor: Wir müssen heute in die Gesellschaft investieren und gemeinnützige Stiftungen wissen aus Erfahrung, wie man sich dauerhaft für die Gesellschaft einsetzt und sie sind in der Lage, innovative Lösungen und neue Formen der Zusammenarbeit voranzutreiben und umzusetzen. Die Stärkung des Stiftungsstandorts gehört sowohl für die Schweiz wie auch für Liechtenstein zur Strategie, um soziale Verantwortung zu stärken. Es ist eben kein Standortwettkampf, sondern eine begrüssenswerte Entwicklung, wenn es weltweit weitere attraktive Stiftungsstandorte gibt. Diese sind zentrale Motoren für soziale Investition und zukunftsfähige Gesellschaften.
In der Schweiz tut sich aktuell sehr viel hinsichtlich Digitalisierung im Stiftungssektor. Neben Drittakteuren wie fundraiso.ch investieren auch Stiftungen selber in Webauftritte und eigene Portale um effizient wirken zu können. Inwieweit ist das ein Thema unter den Mitgliedern der VLGST?
Die verstärkte Digitalisierung bietet Stiftungen nebst den Herausforderungen auch die Chance, von sich aus sichtbar zu machen, was sie machen, weshalb sie sich engagieren und noch wichtiger, was sie bewirken. Nur so können gemeinnützige Stiftungen der Gesellschaft zeigen, was sie bewegen wollen und können. Als Interessenvertretung möchten wir mit positiven Beispielen und Vorbildern guter Stiftungsarbeit kommunizieren. Speziell die neue Generation an Stifterinnen und Stifter erkennt die Potenziale der Digitalisierung: Arbeitsprozesse werden effizienter gestaltet, durch neue Möglichkeiten des Austauschs können Stiftungen auf gesellschaftliche Bedürfnisse schneller reagieren. Wir beobachten, dass die Vernetzung und der Austausch unter den Stiftungen immer wichtiger werden.
Zum Abschluss – was sind die nächsten Themen und Termine, welche bei der VLGST anstehen, die es sich zu notieren gilt?
Die VLGST-Philanthropie-Plattform, welche am 22. September 2022 bereits zum 6. Mal stattfindet, ist ein Highlight, um über das Wirken der liechtensteinischen gemeinnützigen Stiftungen zu berichten. Thematisch werden wir die Bereiche Nachhaltigkeit und Klimaschutz noch weiter vertiefen. Die Förderaktivitäten gemeinnütziger Stiftungen stehen alle in direktem Bezug zu den nachhaltigen Entwicklungszielen der UNO (SDGs). So ist die VLGST neu Partnerin der SDG Allianz Liechtenstein und wird ihre Aktivitäten diesbezüglich ausbauen.