
Interview mit Michèle Frey-Hilti, Stiftungsratspräsidentin der Hilti Family Foundation Liechtenstein, Stiftungsratsmitglied der Hilti Foundation, der
Hilti Art Foundation und Ehren-Stiftungsrätin der Stiftung Lebenswertes Liechtenstein im Gespräch mit Dr. Elisa Boroluzzi Dubach für "Ticino Welcome"
Michèle Frey-Hilti, wenn Sie einen Tag in Ihrem Leben wiederholen könnten, welcher wäre das und warum?
Definitiv der Tag, an dem mein Mann Lorenz und ich geheiratet haben. Es war ein Tag, an dem einfach alles gestimmt hat und den man am liebsten für immer festhalten möchte. Ein Tag voller Liebe und besonders schöner Momente für uns als Paar, mit der Familie und den besten Freunden.
Könnten Sie mit uns eine prägende Erfahrung oder einen Schlüsselmoment aus Ihrem Leben teilen, der Ihre Reise zur Philanthropie beeinflusst hat?
Als ich ein Kind war, hat sich meine Mutter für Strassenkinder in Rumänien engagiert. Sie war oft vor Ort in Bukarest und hat mir früh erklärt, wieso und unter welchen Umständen die Kinder auf der Strasse leben müssen. Das Projekt, für das sie sich einsetzte, holte die Kinder von der Strasse, gab ihnen ein Zuhause in einem familienähnlichen Umfeld und Zugang zu Schul- und Berufsausbildung. Später durfte ich sie auf der einen oder anderen Reise begleiten. Ich habe erkannt, dass viele Menschen ihr Potenzial nicht entfalten können - nicht, weil es ihnen an Talent mangelt, sondern weil ihnen grundlegende Chancen verwehrt bleiben. Gerade dort, wo Bildung fehlt, werden Entscheidungen oft nicht aus Überzeugung getroffen, sondern aus einem Mangel an besseren Alternativen - oder schlicht aus Unwissenheit. Das hält viele in einer Spirale aus Armut und Abhängigkeit gefangen.
Welche Rolle hat Bildung in Ihrem Leben gespielt und wie hat sie Ihre berufliche und persönliche Entwicklung beeinflusst?
Bildung spielt immer noch eine grosse Rolle in meinem Leben und beeinflusst kontinuierlich meine berufliche und persönliche Entwicklung. Es ist ein absolutes Privileg, Zugang zu Wissensquellen zu haben, sich stetig weiterbilden zu dürfen und in alle Themen eintauchen zu können, die einen interessieren und begeistern. Es gibt so viel zu erfahren auf dieser Welt und ich glaube, dass man im Leben nie auslernt. Zudem – wer nichts weiss, muss alles glauben – und das ist selten von Vorteil.
Welche Persönlichkeiten oder Vorbilder haben Sie auf Ihrem Weg zur Philanthropie inspiriert und wie haben diese Einflüsse Ihr Denken und Handeln geprägt?
Sicherlich, wie schon erwähnt, meine Mutter. Aber grundsätzlich hat sich meine Familie, seit ich mich erinnern kann, immer schon sozial engagiert. Auch mein Vater Michael und mein Grossvater Martin waren prägende Vorbilder für mich. Sie haben mir vorgelebt, dass unternehmerischer Erfolg Verantwortung mit sich bringt, dass wir viel Glück im Leben haben und deshalb der Gemeinschaft auch Gutes zurückgeben sollen. Dieses Werteverständnis hat mein Denken und Handeln stark geprägt.
Was haben Sie von Ihrem Vater über Philanthropie gelernt und wie haben diese Lektionen Ihr eigenes Engagement in der Hilti Foundation beeinflusst?
Mein Vater begegnet allen Menschen mit Respekt und auf Augenhöhe. Er ist ein wahrer Unternehmer und will auch mit unserer Stiftung Menschen nicht nur fördern, sondern auch fordern. Er hat die Arbeitsweise unserer Stiftung stark geprägt, deren Ziel es ist, Menschen zu befähigen, ihr Leben aus eigener Kraft heraus zu verbessern, selbständig und unabhängig zu werden. Mit den Projekten der Hilti Foundation fördern wir Hilfe zur Selbsthilfe. Denn wir sind überzeugt: Mit Zugang zu Bildung, Wissen und Perspektiven lässt sich die Zukunft vieler Menschen nachhaltig verbessern.
Können Sie uns einen Einblick in die Entstehung und die Ziele der Hilti Foundation geben? Was war die ursprüngliche Vision?
Meine Familie war schon vor der Gründung der Stiftung philanthropisch tätig, allerdings hauptsächlich in Liechtenstein und der umliegenden Region. Die Hilti Foundation wurde dann 1996 gegründet - als Folge unseres Engagements die Forschungsarbeiten in Ägypten des Unterwasserarchäologen Franck Goddio zu unterstützen. Archäologische Funde, mit denen wir erstmals 1996 an die Öffentlichkeit traten und die weltweite Aufmerksamkeit erregten. Aus dieser Partnerschaft heraus entstand der Wunsch, unser gesellschaftliches Engagement stärker zu strukturieren und uns auch international sozial zu engagieren. Heute sind alle unsere philanthropischen Engagements in der Hilti Foundation gebündelt.
Welche aktuellen Projekte verfolgt die Hilti Foundation und welche langfristigen Ziele setzen Sie sich?
In Liechtenstein engagieren wir uns dafür, die Gemeinschaft zu stärken und den Standort nachhaltig weiterzuentwickeln. Gemeinsam mit lokalen Partnern setzen wir Projekte um, die sich für Biodiversität, Bildung und Inklusion einsetzen - Themen, die für unsere Gesellschaft und zukünftige Generationen entscheidend sind.
International schaffen wir sicheren und bezahlbaren Wohnraum, insbesondere für Familien in prekären Lebensverhältnissen, und unterstützen Initiativen, die Menschen aus der Armut führen. Zudem fördern wir Bildungsprogramme für junge Menschen, die ihnen Selbstvertrauen geben und neue Perspektiven eröffnen - etwa durch Musik oder duale Berufsausbildung.
Inwiefern unterscheidet sich die Fördertätigkeit der Hilti Foundation von anderen Stiftungen und wie hat sie sich im Laufe der Zeit verändert?
Wir legen grossen Wert darauf, nicht einfach eine Förderstiftung zu sein, sondern gemeinsam mit unseren Partnern Projekte zu entwickeln und diese strategisch voranzutreiben. Diese enge Zusammenarbeit ermöglicht es uns, unser Wissen einzubringen und Lösungen zu schaffen, die hoffentlich langfristig wirken – idealerweise so, dass sie sich mit der Zeit selbst tragen und eine aktive Rolle unsererseits überflüssig wird. Zudem messen wir regelmässig den Erfolg unserer Projekte und können so gegebenenfalls Anpassungen vornehmen. Von vielen anderen Stiftungen unterscheidet uns, dass wir auch in der philanthropischen Arbeit unternehmerisch denken und handeln.
Die Hilti Art Foundation ist eine weitere Stiftung, in der Sie tätig sind und die eine beeindruckende Kunstsammlung verwaltet. Was ist Ihr persönlicher Bezug zur Kunst und welche Bedeutung hat sie in Ihrer Familie?
Kunst war bei uns zuhause immer präsent. Mein Vater und meine Mutter haben sich stets leidenschaftlich damit beschäftigt und diese Begeisterung hat sich über die Jahre auch auf mich übertragen. Kunst weckt nicht nur Emotionen in Menschen und regt zu Diskussionen an, sondern ermöglicht Begegnungen mit einer anderen Welt. Sie lässt aber fast niemanden unberührt. Das fasziniert mich an ihr.
Die Hilti Art Foundation besitzt keine eigene Sammlung, sondern vertritt die Sammlung des Familientrusts sowie die Sammlung meiner Eltern Michael und Caroline Hilti, nach aussen und vereint damit Werke von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart. Beide Sammlungen befinden sich nach wie vor im Auf- und Ausbau.
Was halten Sie von der Zusammenarbeit mit anderen Philanthropen und welche Vorteile bringen solche Kooperationen Ihrer Meinung nach?
Kooperationen sind wertvoll. Gemeinsam können wir immer mehr bewirken als allein. Man kann viel voneinander lernen, wenn man bereit ist zuzuhören. Entscheidend ist, dass die Zusammenarbeit auf Ehrlichkeit, gegenseitigem Verständnis und vor allem auf gemeinsamen Zielen basiert.
Besonders bereichernd finde ich bei jeder Zusammenarbeit, wie unterschiedlich die Ansätze und Sichtweisen sein können - je nach kulturellem Kontext oder persönlichem Hintergrund. Genau darin liegt ein grosses Potenzial.
Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie für die Zukunft der Philanthropie im Fürstentum Liechtenstein?
Eine Herausforderung wird sicher sein, nächste Generationen für philanthropisches Engagement zu gewinnen. Dies versuchen wir derzeit beispielsweise mit der Initiative «supergut», die jungen Menschen auf kreative Weise die Bedeutung der biologischen Vielfalt näherbringt. Liechtenstein bietet mit seiner überschaubaren Grösse und den kurzen, informellen Wegen grosse Chancen. Wir können relativ einfach Pilotprojekte lancieren, daraus lernen und erfolgreiche Modelle entwickeln, welche teils adaptiert auch in anderen Ländern oder Kontexten umgesetzt werden können. Liechtenstein könnte hier sicherlich eine positive Vorreiterrolle einnehmen.
Wenn Sie in die Zukunft blicken, welche Hoffnungen und Visionen haben Sie für die nächste Generation von Philanthropen in Ihrer Familie und darüber hinaus?
Ich wünsche mir, dass die nächste Generation in unserer Familie - und auch die nächste Generation in der Welt - eines Tages Verantwortung übernimmt, nicht weil sie muss, sondern weil sie will. Und dass sie dies in einer Welt tun kann, die nicht zuerst gerettet werden muss.